Mit dem Fahrrad von Kaufbeuren nach St. Petersburg
03.06.2019 - Tag 25: Narva - Gostilitsy (118 km, 440 Hm)

Als ich fast mit dem  Frühstück fertig war, kam Fritz. Wir redeten noch kurz, bevor ich gegen 8:15 Uhr aufbrach. Mal sehen, was mich heute erwarten sollte.

Das Wetter war traumhaft und so ging es auf dem abgegrenzten Radweg in Richtung der nahe gelegenen Grenze.

Kurz vor der Grenze kam ich noch am Paul Keres Monument vorbei. Die Statur wurden zum 100. Geburtstag des internationalen Schachgroßmeisters Paul Keres aufgestellt und stellt die Partie gegen Walter Browne in Jahre 1095 in Vancouver nach. Allerdings spielte Keres damals die schwarzen Figuren.

Noch einmal rechts abbiegen, dann war sie da, die Grenzstation zu Russland.

Als Fahrradfahrer konnte ich den Fußgängerkorridor nutzen und die Ausreise war gar kein Problem. Als ich kurz vor dem russischen Grenzgebäude mein Fahrrad an einen Grenzpfosten lehnte, um ein Foto zu machen kam gleich eine der Grenzerin auf mich zugestürmt. OK, dann halt kein Foto, muss ja nicht unbedingt sein.

Die Einreise war einfach, ich musste nach dem Einreisestempel nur meinen Rucksack kurz öffnen, dann war ich durch. Ich öffnete die Tür und stand in Russland. Schon komisch, auf einmal konnte ich nichts mehr lesen, nicht mehr kommunizieren und hatte auch kein mobiles Internet mehr, also auch keine Übersetzungs-App mehr.

Die ersten Kurven von der Grenzstation hochgefahren, dann stand ich schon auf der Hauptstraße von Ivangorod. Da sah ich auch eine Bank, also hin und Geld ziehen. Aber so einfach sollte es nicht sein. Zwar gab es auch die deutsche und englische Sprachauswahl, aber bei beiden Sprachen kam kein Auszahlungsbutton, sondern nur "Kontostand anzeigen" oder "Handy aufladen". Nicht das, was ich wollte. Ich wechselte den Automaten und siehe da, hier wurde mir auch "Auszahlung" angeboten. Aus Sicherheitsgründen jedoch nur 7.500 Rubel (ca. 100€), immerhin besser als nichts. Und so konnte das Abenteuer Russland dann gegen 9:00 Uhr richtig los gehen.

      

Der Weg führte mich wieder auf der bekannten E20 entlang. Die Straßenschilder waren nur begrenz für mich lesbar. Immerhin stand St. Petersburg noch in lateinischen Buchstaben angeschrieben. Den Namen diese Stadt hätte ich auch noch in kyrillisch hinbekommen. Das war's aber auch schon.

            

Die Straße war deutlich schlechter als in Estland, der Randstreifen teilweise richtig gut, meist aber überhaupt nicht befahrbar, also zumindest nicht mit dem Rennrad. Aber ich hatte es mir schlimmer vorgestellt hier zu fahren. Die meisten Autofahrer hielten ausreichend Seitenabstand beim Überholen. Nur die LKW- und Busfahrer fuhren mit minimalem Seitenabstand vorbei, überall das Gleiche.

Dafür hatten sie hier wieder tanzende Hirsche auf den Verkehrsschilder.

Bald erreichte ich die Stadt Kingisepp an der Luga. Vor der Brücke stand im "Hain der Erinnerung" eine Haubitze  aus den 1920ern, die bei der Schlacht um Kingisepp 1941 eingesetzt wurde. 

Über die Luga ging es dann in die Stadt.

Die Stadt selbst war, zumindest da wo ich durchgekommen bin, recht unspektakulär. Aus den Erfahrungen der Vergangenheit hatte ich gelernt und so wollte ich in einer Bäckerei (so dachte ich zumindest zuerst) Essen und Trinken einkaufen. OK, war dann eine Mischung aus Bäckerei, Metzgerei und sonstigem, aber ich bekam etwas zu Essen und zu Trinken. Mit dem Taschenrechner zeigte die Dame mir den zu zahlenden Betrag, da wir uns so gar nicht verständigen konnten.

Nach Kingisepp überholte ich ein Pärchen auf ihren Rädern, die aus Berlin stammten und von Tallinn aus auf dem Weg nach St. Petersburg. Nach einem kurzen Ratsch während der Fahrt fuhr ich dann zügig weiter.

Bei Opol'ye sah ich dann eine Kirche mit blauen Dächern. So eine Kirche hatte ich noch nie gesehen. Daher war ich gespannt, wie sie ausschauen würde, wenn ich näher kam

      

Es war die Kirche der Erhöhung des Heiligen Kreuzes. Die blauen Kuppeln werden mir hier noch häufiger begegnen. Der Friedhof war auch sehenswert, wenn auch ziemlich verwildert.

Als Kontrast zu der Kirche mit den blauen Kuppeln und dem grünen Friedhof stand genau gegenüber ein ziemlich pink/violettes Haus. 

Einige Kilometer weiter, in Gurlovo, wurde es dann ernst: Ich musste die Hauptstraße verlassen, da diese der einzige Weg zum Hotel war, in dem ich heute übernachten wollte. Eine Alternativroute auf größeren Straßen gab es nicht. Ich hatte ja gehörigen Schiss in der Hose, wenn ich nur an die Hunde dachte. Aber es half ja nichts, da musste ich jetzt durch. Und so bog ich links ab...

Anfangs war alles gut, der Straßenbelag war akzeptabel, ab und zu hörte ich einen Hund bellen, aber die waren alle in den Höfen eingesperrt.

Die Landschaft war schön, aber der Straßenbelag wurde zunehmend inakzeptabel, also zumindest für ein Rennrad.

Erschwerend kam hinzu, dass ich kein Straßenschild mehr lesen konnte. Wenn mir hier mein Navi ausgefallen wäre, wäre ich echt am Arsch gewesen. Die Straßenbezeichnungen, die ich mir extra notiert hatte, halfen hier auch nichts, da sie nirgends angeschrieben waren.

      

Als ich nach Ratchino kam, sah ich den Kirchturm schon von Weitem. Das Örtchen war ja ganz nett, nur die Kirche St. Georg aus dem Jahre 1909 sah ziemlich mitgenommen aus. Angeblich wird oder wurde sie restauriert, aber das sieht nach noch viel Arbeit aus.

Die Straße wurde immer schlechte, teilweise kam ich nur noch im Schritttempo voran. Aus der Gegenfahrbahn wurde gerade die Fahrbahn ausgebessert. Jetzt ist mir auch klar, warum die Straßen hier so aussehen. Die heißen Teerteilchen fraßen sich richtiggehend in den Reifen. 

Doch dann wurde der Fahrbahnbelag wieder besser, dachte ich zumindest. Völlig unvermittelt tauchen Schlaglöcher auf. Wenn ich da rein wäre, wäre ich entweder gestürzt oder die Felge wäre hin. Aber ich konnte zum Glück ausweichen, da kein Auto in der Nähe war. Jetzt war ich gewarnt...


Dann erreichte ich einen scheinbar etwas größeren Ort, Kopor'e.

An der dortigen Tankstelle stoppte ich und stärkte mich. War gar nicht so einfach, aber mit Händen und Füßen konnten wir uns dann doch verständigen. Bei dem russischen Kassenzettel, den ich in Händen hielt, machte ich nur große Augen. Außen den Zahlen verstand ich nichts.

Gestärkt ging es dann weiter durch die russische Landschaft. Die vordere Bremse hatte ich zwischenzeitlich verloren, da Öl aus dem Radlager auf die Bremsscheibe gekommen war. Und jetzt noch ein Gefälle von 12%, da konnte spaßig werden, zumal ich nie wusste, wann das nächste Schlagloch kam.

Danach ging es wieder auf mal besseren, mal schlechteren Straßen bei traumhaften Radlwetter weiter meinem heutigen Ziel.

Kurz vor Lopuhinka sah ich ein Schild mit einer Kaffee-Tasse drauf. Das wäre jetzt was, ein Tasse schönen Kaffee...

Ich also mit dem Fahrrad rein in den Eingang, da war Platz für's Fahrrad. Aber was war das? Von einer Tasse Kaffee war nichts zu sehen, es war ein kleiner Laden. Hier konnte man noch Bier aus dem Zapfhahn in Flaschen abfüllen lassen und allerlei Sachen kaufen, aber es gab eben keine Kaffee. Also aß ich ein Eis. Die Inhaberin bestand darauf, ein Foto von mir zu machen, der junge Herr konnte etwas Englisch, so konnten wir uns doch verständigen. Anschließend musste ich meine Eis noch an einem der beiden kleinen Tische essen. Vorher kam ich da nicht raus. 

Im Orts selbst sah ich dann wieder so einen Kleidermarkt wie in Polen.

Fast geschafft, auf den letzten paar Kilometern sollte eigentlich nichts mehr schief gehen, dachte ich zumindest. Ich war kaum aus Lopukhinka draußen, da hatte ich das Erlebnis der 3. Art. Es kommt ja schon mal vor, dass ein 40-Tonner einen anderen 40-Tonner überholt. Aber nicht auf der Landstraße und nicht, wenn ein Fahrradfahrer entgegen kommt. Aber so sah ich zwei dieser LKW auf mich zukommen. Einer auf seiner Seite, der andere auf meiner Seite der Straße. Der Typ, der mir entgegen kam, signalisierte mit der Lichthupe, dass ich mich gefälligst vom Acker machen sollte, da er jetzt hier kommt. Ich kalkuliert schnell meine Chancen durch, bei dem Duell als Sieger vom Platz zu gehen und fuhr dann in den Dreck neben der Straße. Ich grüßte den Typ hinter dem Steuer noch freundlich, aber das störte ihn nicht. Seltsame Sitten haben die hier...

Dann sah ich auch schon Gostilitsy. 

Und erreichte auch gleich da in unmittelbarer Nähe der Hauptstraße liegende Mini Otel Goltilitsy.

Die Kommunikation war nicht so einfach. Zwar hatten sie auf e-mails immer in Englisch geantwortet, aber niemand hier konnte Englisch. Nachdem das WiFi verfügbar war, hatten wir uns über die Übersetzungs-App unterhalten. Mühsam, aber machbar. Nachdem das Fahrrad in der Garage verstaut war, ging es erstmal unter die Dusche. Als ich wieder zur Rezeption kam, ging die Dame mit mir zur Bar um die Ecke, damit ich mich auch nicht verlaufe. 

In der Bar selbst zeigt mit die Dame hinter dem Tresen eines der drei Schild mit einem Bier drauf. Ein solches Bier nahm ich dann auch. War auch gut so, weil das war das einzige Bier, das sie hatten. Dazu wollte ich noch so eine Teigtasche mit Fisch drin, aber irgendwie waren die Damen der Meinung, dass ich mit der Fleischfüllung besser dran wäre. Also habe ich halt ein Teilchen mit Fleischfüllung bekommen. War auch ok...

Nachdem ich mein Tagebuch fertig geschrieben hatte, wollte ich gerade gehen, als Fritz zur Tür rein kam. Wir erzählten uns von unsere heutigen Ereignissen und beschlossen hier noch zu Abend zu essen. Ein relativ einfach Entscheidung, da es eh keine Alternative gab. 

Ich suchte mir das einzige Gericht aus, für welches  keine "englische" Übersetzung verfügbar war, aber die Dame hinter der Theke sagte, es wäre typisch russisch. War total lecker das Zeug, aber irgendwie zu wenig für mich heute. Also bestellte ich eine zweite Portion, was zur Folge hatte, dass die Bedienung mit der Dame aus der Küche am Tisch stand, weil sie es irgendwie nicht so recht glauben konnten.

Fritz und ich beschlossen, morgen gemeinsam nach St. Petersburg zu radeln. Und da wir nur noch 60 km vor uns hatten, wollten wir auch nicht zu früh starten.

Als wir gehen wollten ließen uns die Damen hinten durch die Küche und das Lager raus und so landeten wir direkt auf dem Hof des Hotel. Jetzt ab ins Bett, morgen steht meine letzte Etappe auf dem Programm.

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